Name | Peters | ||
Vorname | Ruth | ||
Geboren | |||
Geboren | 27.09.1919 | ||
Gestorben | 03.02.1999 | ||
Ort | Langen | ||
Friedhof | Langen | ||
Datum | 13.03.1999 | ||
Redner | FREIER REDNER: Uwe Peters | ||
Bestatter | Berghorn Bestattungen | ||
Homepage |
als Freunde der Verstorbenen
und als Freunde der Familien der Verstorbenen.
Alle möchte ich zu dieser Feierstunde ganz herzlich willkommen heißen und Euch allen gilt uneingeschränkt unsere Gastfreundschaft und der Frieden unseres Hauses.
Wir wollen gemeinsam von
Abschied nehmen und sie zu ihrer letzten Ruhe betten.
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Diese Abschiedsstunde ist wie jede Abschiedsstunde, die der Tod uns aufgenötigt hat, immer auch ein Kompromiß zwischen sehr unterschiedlichen und hart aufeinander prallenden Meinungen und Vorstellungen der Hinterbliebenen untereinander und mit den Erinnerungen von der Verstorbenen.
Deshalb habe ich ein Programm entwickelt, welches möglicherweise keine Seite zufrieden stellt und gerade dadurch erkennen läßt, daß es ein echter und reeller Kompromiß ist.
Als Menschen mit gutem Willen – so kenne ich Euch alle – werden wir aus dieser Abschiedsstunde
das Beste machen.
Musik: Wenn nach der Erde Leid Arbeit und Pein
Schwester Lotti Scheffel:
Jetzt einige Worte über unser Zusammenleben meiner Schwester und mir:
Solange ich denken kann, lebten wir zusammen, sie war meine ältere Schwester und sie war mir in allem immer Vorbild, und ich habe sie sehr geschätzt.
Ihr Grundcharakter war sehr gut. In jedem Leben und in jedem Dasein eines Menschen gibt es manchmal so kleine Ausrutscher, da kann man sich nicht verstehen. Die Sachen sind dann aber schnell immer wieder erledigt.
Wir hatten eine lebendige Beziehung, besonders im Alter, wo viele zur Rechten und zur Linken uns verlassen hatten, unsere Freunde und Bekannten. Da schloß sich das Bild unserer Beziehung in diesem Dasein noch enger, vor allem auf geistigem Gebiet.
Wir haben viel miteinander telefoniert, in der Woche etwa drei-, vier- oder fünfmal und wir haben uns sehr gestärkt. Für mich ist es ein ganz großer Verlust und derjenige, der meine Schwester Ruth Peters kannte, der wußte, daß ihr Tod natürlich auch ein tiefer Schmerz ist.
Und sie war ein Kind Gottes und hat ihr Leben dem Heiland zur Verfügung gestellt, ihn ganz und gar geliebt und ihn ihr Leben lang gelebt.
Dann weiß ich noch so einiges aus ihrer Kindheit, wenn ich das kurz einflicken darf. Sie war früher als Kind schon etwas magenkrank und hat eine Zeit zu Hause verweilen müssen als Kind und war bettlägerig. Und eines Nachts bekommt sie eine Helligkeit in ihr Zimmer und dann wird ihr eine Hand gereicht und sie steht auf und ergreift die Hand und dann plötzlich stand sie in ihrem Zimmer alleine. Sie wußte was das bedeutete, nämlich, sie war plötzlich ganz gesund. Sie war wohl 9 Jahre alt. Dann zog sie sich an und ging runter und meine Mutter war natürlich überrascht und fragte, wer hat dich angezogen und du mußt schnellstens wieder ins Bett. Nein sagt sie, ich bin gesund. Der Herr Jesus hat gesagt ich soll in die Schule gehen. Dann ging sie in die Schule und erzählte dem Lehrer das und der ließ sie das noch einmal vor der ganzen Klasse erzählen und viele von ihren Freundinnen in der Schule kamen dann auch in den Gottesdienst.
Und viele Jahre vergingen. Diese Kinder hatten das natürlich ihre Eltern wissen lassen und durch dieses Wissen der Eltern kamen viele Jahrzehnte später die Eltern zu meinen Eltern, um alles richtig zu erfahren. Inzwischen waren die Kriegsjahre gewesen und vergangen und so gab es denn auch noch einen Kontakt mit den Eltern der Kinder aus der Klasse nach vielen Jahren.
Sie hat vieles erlebt, nicht nur in der Kindheit sondern später auch noch.
Sie war für alle da, hatte ihre Tür geöffnet für jung und alt. Wenn das darum ging, Menschen lieb zu haben, dann war sie immer da und hat wirklich alle Menschen, die zu ihr kamen, nicht hinaus gestoßen.
Und jetzt bin ich ein Leben mit ihr gepilgert, wenn auch nicht direkt an ihrer Seite, aber wir haben doch die Zeiten zusammen durchschritten. Der plötzliche Tod, das plötzliche Hinscheiden von ihr, Gott weiß, was er uns genommen hat in unserm Dasein.
Aber ich möchte noch einmal danken für die Zeit und für mein Leben, welches ich mit ihr leben durfte.
Gott segne euch alle.
Musik: Wunder der Gnade Jesu
Ihr Lieben,
wir haben als Eingangsmusik zu unserer Abschiedsfeier von meiner Mutter eine Wiederholung der russ. orthodoxen Basilius-Liturgie gehört, und zwar den Teil, der überschrieben ist mit Hymnus der Cherubim.
Welcher „Pfingstler-erfahrene“ Mensch unter uns denkt nicht sofort dabei an die Sprache der Engel, an das Zungenreden und an das Zungensingen?
Diese Liturgie geht auf den griechischen Kirchenvater Basilius der Große (gest. 379) zurück und ist mit der Jakobusliturgie das älteste erhaltene Tondokument der ganzen Christenheit.
Für uns Älteren, die wir Hans Waldvogel und das aktive Zungensingen der Pfingstgemeinde noch selbst miterlebt haben, wäre es für uns als „Geistgetaufte“ kein Problem gewesen, ohne Training, ohne Text oder Noten sofort einzustimmen und richtig mitzusingen.
Dieses Tondokument beendet für immer den unsinnigen Kampf gegen das Zungensingen in der Pfingstgemeinde. Das Zungensingen der Pfingstgemeinde ist ohne Zweifel identisch mit dem Hymnus der Cherubim der frühen Kirche.
Es ist mir eine Freude und Genugtuung, daß ich in dieser Abschiedsstunde nachweisen kann, daß meine Mutter – als sehr einfache Frau - in ihrem Festhalten an den pfingstlichen Wahrheiten doch Recht gehabt hat.
Damit sind wir mitten im Ablauf unserer Feier.
Wir haben die Richtigkeit ihres Glaubens herausgestellt und wollen in diesen Bezügen zunächst fortfahren; denn ihr Glaube war ihr immer viel wichtiger als alles andere, einschließlich ich.
Wir haben ihre Schwester Lotti gehört, die lebenslang ihre Weggenossin auch in ihrem Glauben war. Die geschwisterliche Beziehung wurde durch den gemeinsamen Glauben verstärkt und unterstützt.
Meine Mutter hat es verstanden, auch mich in diese Glaubensbezüge ganz fest mit einzubinden, wie ein Brief von mir aus Schweden, dort war ich für etwa 2 Monate zur Erholung, beweist. Ich war symbiotisch mit ihr verbunden, denn ich hatte nur sie als einen Elternteil und als positiven Bezugspunkt und den andern Elternteil nur als Störfaktor, der mich von Jesus und meiner Mutter wegbringen wollte.
Meine Partnerin Hannelore hat diesen Brief in den Unterlagen meiner Mutter ausgegraben und wird ihn uns vorlesen:
„Liebe Mutti.
Der Herr grüße dich mit Jeremia 5,3. Der Herr ist so nahe, daß verspüre ich hier sehr. Je näher der Herr ist, desto mehr arbeitet auch der Teufel. Ingrid Breite ist jetzt ganz anders als vorher. Wenn ich mal Spaß mache, dann nimmt sie das gleich für ernst. Weißt, dann wirft sie mir vor. „Du willst ein Heiliger sein und tust so etwas!“ Dann sag ich ihr. „Willst du denn kein Heiliger sein?“ „Aber nicht so wie du!“ Und das schon zweimal. Erzähl das nicht Tante Breite und auch nicht Tante Traute, hörst.
Jetzt liegt kein Schnee. Dafür laufen wir Schlittschuhe. Heute mit deinem Brief traf auch Vaters Brief ein. Es ist schwer hier dem Herrn Jesus treu zu bleiben.
Gute Nacht, Dein Uwe.“
Hinter ihrem Glauben hatte alles zweit – oder auch nur drittrangigen Platz.
Selbst ihre eigene Biographie ist nur bruchstückhaft erhalten.
Am 27.09.1919 ist sie in Büdelsdorf als Tochter von Käthe und Ernst Schröder geboren.
Ihre älteren Geschwister Elfriede und Ernst, die beide bereits verstorben sind, waren schon da und die jüngeren Geschwister Heinz, Lotti und Otto, von denen Heinz im Krieg an der russischen Front vor Leningrad gefallen ist, sollten erst noch geboren werden.
Mein Opa Ernst war Konditor und beide Großeltern engagierten sich sehr stark dafür, daß die schwedischen Missionarinnen auch in Rendsburg eine Philadelphia-Pfingstgemeinde ins Leben rufen konnten. Die Familie Schröder war die Familie der ersten Stunde. Wegen der Zugehörigkeit zur Gemeinde gab Opa Ernst seinen Beruf auf und arbeitete als Arbeiter in der Ahlmann-Carlshütte. Er konnte die Nachtarbeit als Bäcker und Konditor mit den abendlichen Gemeindeversammlungen nicht vereinbaren.
Meine Mutter war eine durchschnittlich begabte Schülerin mit allen Chancen sich zu verbessern oder auch zu verschlechtern.
Die Zeit nach ihrer Schule bleibt für mich dunkel. Von ihrem Pflichtjahr beim Bauern in der Gegend von Lippe-Detmold hat sie gesprochen und von den schweren Milchkannen, welche bei ihr eine Magensenkung bewirkt haben sollen.
Ein Dokument spricht von einer Zeit als „Tagmädchen“ bei einer Frau Anna Sager in Rendsburg. Vom 01.01.1936 - 31.10.1938 war sie „fleißig, treu und willig“ und hat sich gute Kochkenntnisse angeeignet. Frau Sager war beruflich tätig und meine Mutter hat ihre kranke Mutter versorgt und „stets pünktlich“ das Essen gekocht.
Weiterhin erinnere ich mich, daß sie im Haushalt bei dem Arzt für Allgemeinmedizin? Dr. Riewerts gearbeitet hat und mit mir besuchsweise dort öfter war. Er hatte Wohnung und Praxis gegenüber dem alten Amtsgericht in Rendsburg.
Als die Pfingstgemeinden von den „Nazi“ verboten wurden und beim Bund der Baptistengemeinden (Rosenstraße) Unterschlupf fanden, lernte meine Mutter dort den Seminaristen und Gärtner Werner Peters kennen und lieben.
Werner Peters war nach seiner Gärtnerausbildung auf das Predigerseminar der Landeskirchlichen Gemeinschaften nach Bad Liebenzell gegangen und wollte sich zum Prediger ausbilden lassen. Das Seminar wurde stark von Spenden unterhalten und ein Bauer aus der Umgebung tat sich besonders mit Spenden hervor. Dafür sollte sein Sohn auch zum Prediger ausgebildet werden. Werner Peters fand heraus, daß dieser Sohn homosexuell war. Die Spenden und der Bauernsohn waren dem Seminar lieber und Werner Peters mußte gehen. In Rendsburg konnte er deshalb nicht mehr in seine Landeskirchliche Gemeinschaft zurück und schloß sich den Baptisten an.
Am 07.03.1940 haben Ruth und Werner Peters in Rendsburg geheiratet.
Er war ihre zweite Wahl. Ein gewisser Herr Gramberg blieb ganz sicher ihr Traummann bis unsere Wege 1960 sich trennten und ich von ihr zur Bibelschule ging.
Sie fanden eine unzureichende Wohnung in der Schleuskuhle und waren überglücklich, daß sie ab März 1941 in der Idstedtstraße 21 eine wunderschöne und moderne Wohnung beziehen konnten.
Das war nur möglich, weil mein Vater bereits verwundet war. Seine Kriegsverwundung hat er sich bei dem Frankreichfeldzug zugezogen und war eigentlich nicht so schlimm. Er hatte nur Granatsplitter in den Füßen. Aber die Wehrmacht war anfangs mit der Versorgung der Verwundeten überfordert und auf dem tagelangen Transport ins Lazarett nach Schlesien wurden die Verbände nicht gewechselt.
Meine Mutter reiste sofort nach Schlesien ins Lazarett und kratzte ihm mit einem Löffel die Maden aus seinen verwundeten Füßen. Alles war zu spät. Ein Fuß mußte amputiert werden und der andere blieb verkrüppelt.
Inzwischen war sie schwanger mit mir und ich war im ersten Teil der Schwangerschaft ganz sicher ein gewolltes Kind.
Verlegt ins Lazarett nach Hamburg lernte er eine Rote Kreuz Schwesternhelferin Eugenie, genannt Jenny, kennen. Jenny war resolut, zielstrebig und wußte was sie wollte; da hatte die gefühlvolle Ruth keine Chancen. Zutiefst erschreckt über die Wirklichkeit des Lebens reagierte sie kopf - und hilflos. Die Scheidung 1942 war der Höhepunkt des gegenseitigen Zerfleischens. Sie kämpfte um die Wohnung und meine Existenz gab den Ausschlag, daß sie die Wohnung behalten konnte.
Meine Geburt am 30.07.1941 fällt in die eheliche Krisis und mit der Tapferkeit ihrer mütterlichen Gefühle bekannte sie sich zu mir. Dennoch „wäre ihr Leben ohne meine Geburt und ohne mich völlig anders verlaufen“, wie sie es mir wörtlich so oftmals gesagt hat. Ich vermute, ein Diakonissendasein, wie bei ihrer Schwester Elfriede wäre ihre gewünschte Alternative gewesen. Wahrscheinlich liegt hier auch eine Wurzel der späteren Entwicklung unserer Beziehung zueinander.
Nach ihrer Scheidung war sie magenkrank mit Magengeschwüren und einer chronischen Magenschleimhautentzündung und konnte deshalb und meinetwegen nicht berufstätig arbeiten. Sie bekam Fürsorge (Sozialhilfe).
1945 wurde die kleine Wohnung mit Flüchtlingen aus dem Osten überbelegt. Sie hat unter den engen Verhältnissen gelitten, aber sich mit ihrer lebenspraktischen Vernunft recht schnell in die Verhältnisse gefügt.
1945 wurde ihre Schwester Elfriede aus ihrer Diakonissenschaft wegen ihrer Besuche der Pfingstgemeinde in Hamburg ausgeschlossen. Damit war für meine Mutter dieser Traum zu Ende. Nach der Enttäuschung mit Werner suchte sie nach „einem Vater für mich.“
Die Entschlossenheit der Jenny fehlte ihr und ihr Glaube verlangte die ersten Opfer. Die vorsichtige Beziehung mit Herrn Renner aus Sudetendeutschland war schnell zu Ende, als sich herausstellte, er habe eine Frau in Süddeutschland.
Als nach dem Krieg die Pfingstgemeinde sich unter dem Prediger Franz Wegner wieder selbständig machte und im „Gymnasium“ die Gottesdienste abhalten konnte, stellte sie ihr Wohnzimmer für die Chorübstunden zur Verfügung. Ihr Lieblingslied war der vierstimmige Satz plus Oberstimme: Wunder der Gnade Jesu.
In der Nachkriegszeit ist ein Arbeitsversuch von wenigen Monaten als Raumpflegerin bei der Werft Nobiskrug noch zu berichten, der durch ihre Magenkrankheit dann aufgegeben werden mußte. Auch eine Aushilfsarbeit bei der Schleswag mit fast einem ¾ Jahr ist erwähnenswert, weil die Schleswag den Mitarbeitern ein Torfmoor zum Torfstechen in der Nähe von Breiholz am Kanal zur Verfügung stellte und dafür sorgte, daß der Torf auch in den Wohnungen angeliefert wurde. Ich erinnere mich noch an die glühende Hitze im Moor, an die Mücken und an die überaus gute Stimmung und Fröhlichkeit meiner Mutter bei dieser Gemeinschaftsarbeit. Das blieb ihre Stärke: In einer guten Gemeinschaft jede Arbeit, und sei sie noch so schwer, mit Freude und Lust zu verrichten.
Und es ist erwähnenswert, daß sie vom Dänischen Roten Kreuz zu einer Kur nach Augustenburg/Alsen verschickt wurde.
Nachdem sie die Wohnung ganz frei bekam, wohnten jahrelang die Gastprediger der Pfingstgemeinde in dem kleinen Zimmer unserer Wohnung.
In diese Zeit fällt auch die denkwürdige Beratung anläßlich einer Glaubenskonferenz in Rendsburg. Sie lud die Gastprediger Paul Rabe, Reinhold Siebeneich und Philipp Sendelbach, welche eine gewisse geistliche Autorität verkörperten, in einer Konferenzpause zu sich nach Hause ein, um sich die fundamentalistisch-biblische Richtlinie erklären zu lassen, ob sie als eine Geschiedene wieder heiraten dürfe. Mit vielen Wenn und Aber und gewissen Einschränkungen waren „die Brüder“ so vernünftig, ihr eine Wiederverheiratung zu erlauben. Sie litt lebenslang unsagbar schwer an dem Makel, „eine Geschiedenen“ zu sein. Oft hat sie darüber geweint.
Täglich betete sie abends vor dem Schlafengehen auf den Knien halblaut auch darum, daß Gott aus ihrem Uwe einen Diener Gottes machen würde.
Außerhalb ihrer gläubigen Verrichtungen stellte sie mir als Vorbild einen Nachbarsjungen hin, der 1938 geboren war und dessen Mutter Kriegerwitwe war. Uwe Jahn absolvierte die Mittelschule, ging in die Verwaltung, wurde Standesbeamter und Amtmann und ist seit einigen Jahren schon tot. Die Todesanzeige fanden wir in ihrem Nachlaß.
Den Herrn bat sie darum, daß ihr Sohn Diener in seinem Reich werden sollte und ihrem Sohn erzählte sie nur die positiven Erfolgsgeschichten von Uwe Jahn. Einen gewissen Pragmatismus hatte sie immer schon...
Ein Spätheimkehrer aus Rußland, Fritz K., Maurer von Beruf und Ehemann einer Glaubensschwester „Lottchen“, mit der sie sich gut verstand, wurde am 10.10.1955 später Vater eines Sohnes namens E. . Die Mutter Lottchen starb bei der Geburt und meine Mutter nahm den Säugling zu sich. Am 04.11.1955 holte sie das Kind aus dem Krankenhaus. Aus irgendwelchen willkürlichen Lautbildungen entwickelte sich der Kosename „Datsi“. Datsi blieb bei uns bis etwa Mitte Mai 1956, also etwas mehr als ein halbes Jahr.
In dieser Zeit freundete sie sich mit dem Kindesvater an, sehr zum Mißvergnügen seiner Tante und deren Freundin, welche im Chor der Gemeinde Sopran und oft auch Überstimme sang.
Die beiden Frauen hatten ein anderes Mädchen für den Kindesvater ausgesucht und wußten keinen anderen Weg mehr, als meiner Mutter bei ihrem Einkauf in der Stadt (Hohe Straße) das Kind auf öffentlicher Straße aus dem Kinderwagen zu klauen und somit die Notwendigkeit der Besuche des Kindesvaters bei uns zu Hause zu unterbinden.
Als meine Mutter nach Hause kam, war für sie die ganze Welt zusammengebrochen. Der Kindesvater ließ sich verleugnen und äußerte sich zu dem Vorfall nicht. Der Prediger Franz Wegner und die ganze Gemeinde verhielten sich absolut indifferent. Die Glaubensschwester sang weiterhin im Chor: „Wunder der Gnade Jesu“ und meiner Mutter drohte man an, sie werden den Chor verlassen müssen, wenn sie weiterhin über den Vorfall keine Ruhe geben würde.
Im Aufbereiten ihres Lebens ist mir aufgefallen, daß sie fast eine „Idealmutter“ für Säuglinge und Kleinkinder war. Jeder Säugling wäre bestens bei ihr aufgehoben gewesen. Und in ihren Bilderkartons finden sich viele Bilder, auf denen sie einen Säugling oder ein Kleinkind auf dem Schoß oder im Arm hat. Immer hat sie ein sanftes, weiches Leuchten im Gesicht. Wenn sie mit größeren Kindern abgebildet ist, ist sie zwar auch auf diesen Bildern freundlich, aber der besondere Schimmer fehlt.
„Datsi“
Heranwachsende Kinder und zunehmende Eigenständigkeit der Kinder überforderten sie.
Bemerkenswert ist auch noch, daß ein junger Mann aus der Schweiz, aus einer kinderreichen Familie, die deshalb dort als asozial galt und vom Jugendamt in verschiedene Kinderheime aufgeteilt werden sollte, bei uns Unterschlupf und Aufnahme fand. Paul Wittwer, so heißt der Mann, wohnte wochenlang bei uns und meine Mutter versuchte, ihn „mit durchzubringen“. Sie hatte ein abgrundtiefes Mißtrauen gegen alle Behörden und seine Geschichte war ihr Grund genug, sich schützend vor ihn zu stellen. Über die Vermittlung eines Freundes von ihrem Bruder Otto, Richard Breite, kam er nach Erzhausen zur Bibelschule und wurde dort Drucker.
Am 28.12.1959 begann ihre Arbeit als Hausgehilfin im Alters – und Pflegeheim der Stadt Rendsburg. Der Aushilfsvertrag wurde mehrfach verlängert und dann wurde sie gegen ihren Wunsch nicht in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. Stattdessen bekam sie Arbeit bei der Ahlmann Carlshütte in Büdelsdorf als Küchenhelferin.
Damit machte sie mir den Weg frei, zur Bibelschule Beröa zu gehen und eine Ausbildung zum Prediger zu absolvieren.
Nur auf diesem Wege konnte ich mich aus der Symbiose befreien, die unter anderem darin sichtbar wurde, daß ich bis zum Fortgang zur Bibelschule im ehelichen Bett mit ihr schlief, von dem Werner damals sein Bett mitgenommen hatte und sie es durch einen glücklichen Zufall wieder zurück bekommen hatte.
Sie war niemals glücklich darüber, daß ich zur Bibelschule ging, denn sie ahnte es beim Abschied schon und später wußte sie es, daß die Erfüllung ihrer Bitte durch den Herrn ihr allergrößte Probleme bereiten würde. Doch davon später.
Ihr Leben teilt sich ziemlich genau in zwei Hälften und dieses war die erste Hälfte ihres Lebens.
Musik: Man erzählte mir froh von dem Himmel
Ex-Schwiegertochter Hanna Peters:
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich vielleicht nicht immer so flüssig und unbeteiligt sprechen kann.
Hier ist ein Leben zu Ende gegangen, das auch sehr viel Beteiligung hat an der Entwicklung meines eigenen Lebens.
Ruth Peters war seit 1964 meine Schwiegermutter und ist es auch bis zu ihrem Tode geblieben, ungeachtet der Tatsache, daß Uwe und ich uns bereits 1984 trennten und seit 1990 geschieden sind.
Ihr Tod hat in mir viele Erinnerungen wachgerufen aber auch von mir Aufarbeitung gefordert - über mein eigenes Leben.
Sie war 35 Jahre Teil meines Lebens und die Großmutter meiner Kinder. Ich lernte sie 1962 kennen als sie ihren Sohn Uwe, meinen späteren Ehemann, in Beröa besuchte, in Erzhausen, während seiner Ausbildung.
Die Frau, die ich damals kennenlernte, war eine sehr ernsthafte, in gewisser Weise auch strenge Frau, von 43 Jahren, die all ihre Kraft einsetzte, ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen, nach den Aussagen der Bibel, so wie sie sie verstand und wie sie von den Lehrern der Pfingstgemeinde interpretiert wurden.
Sie mochte mich, sie schloß mich ziemlich schnell in ihr Herz, aber der Gedanke, daß Uwe und ich heiraten wollten, erfüllte sie mit großer Sorge und veranlaßte sie, mir Einblick zu geben in ihr bisheriges Leben und in die Geschichte ihrer eigenen kurzen, glücklosen Ehe mit Uwes Vater.
Sie war gefangen in einem tief verwurzelten Mißtrauen gegen Männer, von dem sie auch ihren eigenen Sohn nicht ausnahm. Es war ihr nicht bewußt, wie sehr sie damit seine Entwicklung und Rollenfindung auch beeinflußt oder behindert hat. Ich kann ihr auch darüber keinen Vorwurf machen.
Aber sie brachte es nicht fertig, fast vier Jahrzehnte mit ihrem geschiedenen Mann auch nur ein Wort zu sprechen. Und ich bin heute froh, daß wir der Anlaß sein durften, daß sie Gelegenheit hatte und sie auch nutzte, sich mit Uwes Vater zu versöhnen.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieses Leben ohne Sehnsüchte, ohne Träume, ohne Tränen verlaufen ist. Aber darüber hat sie zu uns, zu mir nie gesprochen. Sie suchte Trost und fand ihn auch in ihrem Glauben und in ihren Gebeten.
Erst viel später, als unser 4 Kinder zur Welt kamen und aufwuchsen, lernte ich auch ihre andere Seite kennen. Sie konnte im Umgang mit ihren Enkeln so fröhlich sein und manchmal auch ausgelassen. Das waren die Tage oder Wochen, wenn sie bei uns zu Urlaub war. Nach spätestens einer Woche waren ihre Magenschmerzen verschwunden; sie war gelöst, fröhlich, lachte, so wie ich sie sonst nie kannte.
Sie war für uns da, half mir im Haushalt, kümmerte sich um die Kinder, ganz besonders als sie klein waren, aber das hat Uwe schon ausgeführt. Sie genoß ihre Omarolle. Für mich war sie eine Mutter. Meine eigene Mutter hatte wenig Zeit für uns, weil sie so sehr in den Dienst in der Gemeinde an der Seite meines Vaters eingebunden war.
Ruth war mit unserer Lebensführung nicht immer einverstanden, eher selten. Trotzdem spürte ich bei aller Kritik ihrerseits, ihre Zuneigung und auch Verständnis im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Obwohl sie unsere Trennung und Scheidung nie guthieß, hielt sie doch immer Kontakt zu uns allen. Und es war erstaunlich, sie hielt den Kontakt zu mir, aber auch zu Uwe und seinen Lebensgefährtinnen und auch zu ihren Enkeln.
Tief in ihrem Innern wußte sie wahrscheinlich, auch wenn sie diese Erkenntnis für ihr eigenes Leben nicht mehr umsetzten konnte, daß das Leben nicht in Normen zu fassen ist.
Diese scheinbaren Widersprüchlichkeiten in ihrem Leben fielen mir öfter auf.
Sie tat Dinge, die sie für richtig hielt, konsequent auch gegen die Meinung ihrer Familie und Gemeindegeschwister. Allerdings redete sie nie darüber.
Mit dieser Einstellung hat sie etlichen Menschen in ihrem Umfeld sehr geholfen. Ich danke Gott, daß ich die Möglichkeit hatte, Ruth Peters kennen zu lernen und daß sie 35 Jahre lang Teil meines Lebens war.
Nicht zuletzt hat ihre Lebensgeschichte Uwe und mir Möglichkeit gegeben, unserem Leben eine andere Richtung zu geben.
Ich möchte schließen mit einem Text aus Nadine Stair:
Wenn ich noch einmal leben könnte, dann würde ich es
nächstes Mal wagen,
mehr Fehler zu machen.
Ich würde mich entspannen, weniger steif sein.
Ich wäre übermütiger, als ich es auf dieser Reise gewesen bin.
Ich würde weniger Dinge ernst nehmen.
Ich würde mehr Chancen ergreifen.
Ich würde mehr Reisen machen.
Ich würde mehr Berge besteigen und mehr Flüsse
durchschwimmen.
Ich würde mehr Eis und weniger Bohnen essen.
Ich hätte vielleicht mehr tatsächliche Schwierigkeiten,
aber weniger eingebildete.
Siehst du, ich gehöre zu denjenigen Menschen,
die vernünftig und mit klarem Verstand leben,
Stunde um Stunde, Tag um Tag.
Oh, ich habe meine guten Momente gehabt,
und wenn ich alles noch einmal tun könnte,
dann hätte ich davon mehr.
Ich würde tatsächlich versuchen, nichts anderes zu haben.
Einfach Augenblicke, einen nach dem anderen,
anstatt jeden Tag so viele Jahre vorauszuleben.
Ich bin einer der Menschen,
der nie irgendwo hingeht ohne ein Thermometer,
eine Bettflasche, einen Regenmantel und einen Fallschirm.
Wenn ich alles noch einmal tun könnte,
würde ich mit weniger Gepäck reisen.
Wenn ich mein Leben noch einmal haben könnte,
dann würde ich früher im Frühling barfuß starten
und bis in den späten Herbst so bleiben.
Ich würde zu mehr Tanzfesten gehen.
Ich würde mehr Reitschule fahren.
Ich würde mehr Gänseblümchen pflücken.
Nadine Stair, 85 J.
Lanisville, Kentucky
Musik: Der Erste den ich seh soll Jesus sein
Enkelsohn Ervin Peters:
Als Uwe es mir mitteilte, zündete ich eine Kerze an. Ich war in Prüfungsvorbereitungen, dementsprechend auch ein bißchen im Streß. Ich stellte die Kerze in ein Fenster. Ich konnte mich in dem Moment nicht mehr so richtig auf meine Prüfung konzentrieren.
Die Bilder von früher kamen hoch, wie wir als Kinder auf dem Teppich gespielt haben mit den Wiking-Autos. Sie hatte so einen schönen Teppich, da waren Straßen drauf. Die Bilder kamen mir hoch, wie wir sie beleiert haben, daß sie ihren Schrank aufmachte in dem dann eine Dose mit Keksen war. Daran erinnere ich mich; an das Badezimmer mit dem Badeofen, an die Ofenheizung.
Dann war ich sehr traurig.
Dann habe ich mal wieder einen kleinen Moment an meiner Prüfungsvorbereitung weitergemacht. Dann kamen die Bilder hoch von dem Kontakt mit ihr, wie wir uns unterhalten haben. Was ich immer nicht verstanden hab‘, war diese Vorstellung, die sie über das Leben – über unser Leben, über ihre Zukunft - äußerte. Ich hatte da keinen Bezug zu. Ich konnte es aber akzeptieren als ihre ..., ich wußte es sind ihre Vorstellungen.
Ich hab‘ dann irgendwann, als ich größer wurde, gelernt auch ihr von mir zu erzählen und ihr auch ein bißchen darzustellen, was ich so denke, fühle.
Sie war bei einem unserer letzten Treffen wohl ein bißchen durcheinander, weil ich schon wieder eine andere Freundin anschleppte. Aber das macht nichts und trotzdem habe ich mich nie getraut, sie zu fragen, obwohl ich es eigentlich mal wissen wollte, warum sie nicht wieder einen Liebhaber oder etwas ähnliches hatte.
Wenn wir uns unterhalten haben, habe ich oft gedacht: Schwachsinn, aber es war sie und sie hat es vielleicht auch sich getraut zu denken, von dem was ich sagte. Ich hoffe es zumindest...; gesagt hat sie es aber nie.
Das was mir aufgefallen ist, auch jetzt beim Nachdenken darüber, daß sie es wirklich trotz dieser Differenzen, dieser unterschiedlichen Vorstellungen geschafft hat, uns zu akzeptieren, mich im besonderen auch. Und das fand ich sehr gut, weil, das hat mir sehr geholfen; auch in der Problematik mit dieser ganzen Pfingstgemeinde, in die ich ja auch reingeboren wurde, damit umzugehen.
Ansonsten: Laß es dir gutgehen, Ruth.
Enkeltochter Esther Finster:
Also, ich hab‘ in Rendsburg schon Abschied genommen von Oma, aber mir stockt jetzt auch die Stimme.
Sie hat mir etwas mitgegeben, das sind die Strümpfe und das ist eigentlich auch etwas, was uns die Jahre verbunden hat. Ich hab‘ jedes Jahr gestrickte Strümpfe von ihr bekommen. Ich hab‘ inzwischen reichlich davon und das ist auch ganz gut, weil bei uns ist es auch sehr fußkalt.
Und jetzt war ich ja da in Rendsburg und ich hab‘ da einen großen Korb voll Wolle mitgenommen. Ich werde bei jedem Paar selbstgestrickter Strümpfe, auch die ich vielleicht jetzt selber anfertige, an meine Oma denken.
Ich weiß noch wie ich langsam älter wurde, ich weiß nicht, ob ich vielleicht so 12 oder 13 war oder 14 und meine Oma anfing, mir Nachthemden zu schenken. Es hat etwas gedauert, aber irgendwann hat sie verstanden, daß ich doch lieber Socken haben wollte. Und sie hat mir auch nie wieder etwas anderes geschenkt und ich hab‘ mich immer sehr gefreut.
Unser Leben – also zumindestens hab‘ ich das so gedacht - unser Leben war grundverschieden, also auch was wir jetzt gehört haben über die Gläubigkeit meiner Oma, wie sie das ausgelebt hat, das waren einfach zwei völlig verschiedene Leben. Aber trotzdem hatten wir eine Verbindung und das waren also mindestens die Strümpfe.
Ich konnte, wie gesagt, in Rendsburg Abschied nehmen von ihr und das war sehr schön für mich, weil, meine Oma war die einzige meiner Großeltern, zu der ich eine Beziehung hatte. Die Eltern meiner Mutter, das habt ihr ja schon gehört, hatten wenig Zeit, die haben sich ein wenig rar gemacht. Mein Opa, bei dem war das vielleicht ähnlich.
Aber Oma war die einzige, bei der ich sagen kann, ich hab‘ Erinnerungen und die hat eine Beziehung zu mir gehabt.
Da bin ich sehr dankbar drüber, daß ich auch von ihr Abschied nehmen konnte.
Als ich da war, da kamen verschiedene Gedanken bei mir hoch und die Gedanken zeigen sich vielleicht am besten in einem Text, den ich jetzt noch vorlesen möchte; er stammt aus einem Heft, das ihr vielleicht kennt und er heißt:
Ein reicher Mann bat Sengai (das ist ein Zen-Meister), etwas für das Glück seiner Familie aufzuschreiben, so daß es von Generation zu Generation im Gedächtnis behalten würde.
Sengai verlangte einen großen Bogen Papier und schrieb: „Vater stirbt, Sohn stirbt, Enkel stirbt.“
Der reiche Mann wurde ärgerlich. „Ich bat Euch, etwas für das Glück meiner Familie zu schreiben! Warum macht Ihr solchen Scherz?“
„Ich hatte nicht die Absicht, einen Scherz zu machen“, erklärte Sengai. „Wenn dein Sohn vor dir sterben würde, so würde dich das sehr bekümmern. Wenn dein Enkel vor deinem Sohn sterben würde, so würde dies euch beiden das Herz brechen.
Wenn deine Familie Generation auf Generation in der Reihenfolge dahinscheidet, die ich genannt habe, so ist das der natürliche Ablauf des Lebens. Das nenne ich wahres Glück.“
Meine Oma hat ein stattliches Alter erreicht. Sie ist von einem Moment auf den anderen gestorben, es ist keiner von uns vor ihr gestorben und ich denke, das war ein wahres Glück für sie und auch für uns.
Enkelsohn Christian Peters:
In freier Rede bin ich nicht so gut wie mein Vater. Deswegen hab‘ ich mich gestern hingesetzt und hab‘ ein paar Zeilen aufgeschrieben, die ich hier vorlesen möchte.
Vor einigen Tagen bat mich Uwe zur Trauerfeier für Oma ein paar Worte zu sprechen. Kein Problem dachte ich bei mir und sagte : „Das will ich wohl tun!“, schließlich habe ich viele Bücher, in denen das Thema Tod behandelt wird und schließlich bin ich ja auch ein Fachgeprüfter Bestatter.
Doch als es soweit war, war das einzige was mir einfiel: Was soll ich bloß sagen ???
Und ich denke, es ist nicht sehr leicht hier zu stehen und etwas zu sagen, und ich glaube, deswegen hat mein Bruder Turvin sich dafür entschieden, auch im Stillen Abschied zu nehmen.
Für die Trauerarbeit und die menschlichen Probleme, die beim Tod eines Angehörigen auftreten, ist Uwe zuständig und mir fehlt die Bildung. Für ein passendes Gedicht bin ich nicht wortgewandt genug, also denke ich, ist eine Geschichte, die Oma und ich erlebt haben, eine Geschichte, in der Ihr Oma so sehen könnt, wie ich sie immer gesehen habe, vielleicht das richtige.
Über 15 Jahre ist es her, da haben Turvin und ich ein paar Tage bei Oma in Rendsburg verbracht. Unsere lieben Eltern sind nach Bremerhaven zurückgefahren und wir freuten uns auf ein paar Tage Urlaub im Paradies.
Paradies deshalb, weil es morgens immer Semmeln (neu: „Kieler“), und zwar die echten, zum Frühstück gab und weil wir glaubten, Oma auf der Nase herumtanzen zu können.
An einem dieser Tage haben wir uns nach den Semmeln die beiden uralten high-tech-Fahrräder von Oma, die mit der Stempelbremse am Vorderrad, geschnappt und sind den ganzen Tag durch den Hafen und am Kanal entlang gefahren. Irgendwann trafen wir auf ein riesiges Düngemittelsilo, in dem gerade ein Baggerfahrer ein paar Kubikmeter auf einen Lkw lud. Turvin und ich sind dann, als der Fahrer verschwunden war, ca. eine Stunde in diesem Silo durch die aufgeschütteten Berge gefahren und haben sie ein wenig niedriger und ein wenig breiter gemacht.
Doch als der Baggerfahrer wieder kam entschlossen wir uns nach Hause zu fahren und nicht mit ihm über die passende Form von Düngemittelbergen zu diskutieren.
Als wir nun endlich wieder bei Oma waren, lümmelte sie uns aus, verständlich, doch dies hatte ein jähes Ende als sie sah, daß es aus allen Taschen und Ritzen bei uns nur so krabbelte. Ich glaube sämtliche Käfer und Spinnen der Stadt waren in unseren Kleidern und in unseren Haaren. Oma steckte uns sofort in die Wanne und schrubbte uns mit samt unseren Kleidern richtig durch. Das einzige was sie dazu sagte war immer nur ein kopfschüttelndes „ohje, ohje“.
Nach dem wir diese Tortur überstanden hatten, machte Oma noch Abendbrot und brachte uns anschließend ins Bett.
Sie hat an dem Abend nicht mehr viel gesagt, sie war böse auf uns und wir hatten ein schlechtes Gewissen, schließlich haben wir uns am Morgen, als wir verschwunden waren, nicht bei ihr abgemeldet ...
doch am nächsten Morgen gab es wieder diese leckeren, frischen Semmeln...
Oma war immer für uns da, wenn wir sie besucht haben oder wenn sie mal zu uns kam.
Auch zu den Feiertagen hat sie immer an uns gedacht und uns meist ein oder zwei Paar Socken mit einer Tafel Schokolade geschickt. Sie machte es immer wieder, auch wenn wir es ihr oft nicht gleich getan haben.
So habe ich Oma erlebt, immer kopfschüttelnd und „ohje ohje“ sagend, aber voller Liebe zu ihren Enkelkindern, und dafür danke ich Oma.
Ich danke ihr für die immerwährende Bemühung um uns, und ich danke meinen Eltern, daß sie trotz der Differenzen mit Oma, uns immer die Möglichkeit gegeben haben, den Kontakt zu ihr zu bewahren. Die Zeiten, die wir mit Oma verbracht haben, waren schöne Zeiten.
Unter ihrem letzten Weihnachtsbaum, der noch stand als sie gestorben ist, waren, so glaube ich mich zu erinnern, keine Grüße von uns, obwohl wir genau wußten, daß Oma sich darüber immer sehr gefreut hat.
Ein Gefühl von Einsamkeit beschlich mich, als ich ihren Weihnachtsbaum sah und ein Gefühl von Ärger, denn mit ein wenig Mühe hätte ich Oma eine große Freude machen können, ich hätte mich um sie bemühen können, so, wie sie es immer um uns tat, doch nun ist es zu spät...
Uwe sagt den Angehörigen immer: „Ihr Verstorbener ist dort, wo es kein Leid mehr gibt!“
Ich hoffe und wünsche, daß Oma bei ihrem Gott ist, und daß es für sie das Paradies ist, von dem die Christen immer sprechen.
Ich hoffe sie ist da, wo es kein Leid mehr gibt.
Musik: Komm heim zum Abendmahl
Teil 2:
Mein Bericht beginnt mit der Abreise zur Bibelschule. Dieser Augenblick auf dem Rendsburger Bahnhof ist mir beim Schreiben dieses Textes wieder sehr bedeutsam geworden. Ich fühlte so etwas wie einen historischen Augenblick in meinem Leben und konnte doch in meinem sehr befangenen Bewußtsein nichts begreifen.
Meine Abreise zur Bibelschule veränderte das Leben meiner Mutter radikal. Ich hatte in den letzten 4 Jahren zunehmend Haushandwerker-Arbeiten übernommen und mein Einkommen floß auch in den gemeinsamen Haushalt. Es ging uns erstmalig richtig gut. Jetzt stand sie wieder vor allem alleine.
Sie hielt sich aufrecht damit, daß ich „ein Diener des Herrn werde“ und willigte tapfer in dieses Opfer und konnte es nur so ertragen.
In dieser Zeit setzten sich wieder verstärkend die Hilfen und Kontakte mit ihren leiblichen Geschwistern durch.
Elfriede, Lotti und ganz besonders Otto mit seiner Ehefrau Ulla wurden ihr zum Ersatz für ihren Sohn und als Stütze ihres Lebens auch zum Ersatz für einen etwaigen Ehemann. Ob das Reparaturen, Pflegemaßnahmen, Renovierungen und Erledigungen von Verwaltungsaufgaben waren, immer wieder hörte ich bei meinen Besuchen: „Das hat Otto mir gemacht!“
Otto hat mich schon seit meiner späteren Kindheit positiv begleitet und entscheidend geprägt. Ohne Otto wäre ich ein anderer. Unter anderem war der Monat immer so lang und die Fürsorge so wenig, daß Otto so manchen 10,- DM oder 20,- DM Schein aus seiner eigenen Lebensplanung abzweigte, um uns in den letzten Tagen des Monats Brot, Margarine und ein wenig Teewurst zu ermöglichen. Er lieh meiner Mutter Geld und vergaß oftmals die Rückforderungen und meistens wollte er es auch gar nicht wieder haben.
Diese tiefe Dankbarkeit und positive Übertragung zu ihm besteht in mir auch heute noch, auch wenn er meinen heutigen Lebensweg mit den notwendigen Entscheidungen nicht mehr versteht.
Meine Mutter war in ihrer Geldverwaltung und auch in ihrer Geldbeschaffung hilflos-chaotisch. Während meiner ganzen Schulzeit lebten wir in blanker Not.
Für mich war die Lösung Prediger zu werden, die einzige Möglichkeit, mich aus der Symbiose mit meiner Mutter heraus zu lösen. Sie hatte nach dem alten Schreberschen Erziehungsmodell grundsätzlich meinen Willen als Kind gebrochen. Damit hatte ich keine Chance den notwendigen inneren Ablösungsprozeß von meiner Mutter durchzuführen. Indem ich Prediger wurde, konnte ich die räumliche Distanz nutzen um zu mir selbst zu finden und mich Stück für Stück von ihr abzulösen.
Hanna und ich arbeiteten an ähnlichen Problemen und deshalb waren wir in unseren Entwicklungen ideale Weggenossen.
Für meine Mutter wurde die Sache heikel. Einerseits war sie lebenslang Mutter ihres Sohnes und beanspruchte die Autorität lebenslang zu bestimmen, was der Sohn zu tun hat.
Andererseits war eben dieser Sohn Prediger, ein Gesalbter Gottes und dementsprechend eine ihr übergeordnete Autorität. Diesen Konflikt konnte sie nicht anders, als durch Schweigen und Distanz lösen.
Schweigen und Distanz wurden von Entsetzen abgelöst, als ich in meinen theologischen Studien zu Erkenntnissen und Befunden kam, welche ihre hergebrachten Glaubensinhalte völlig durcheinander brachten. Mit sicherem Mutterinstinkt fühlte sie, daß mir die theologischen Studien auch dazu verhalfen, mich von ihr innerlich abzulösen.
Es gab keine Gespräche mehr zwischen uns. Hanna blieb bis zuletzt ihr Gesprächspartner. Mit Hanna gab es diese Konflikte nicht.
Für mich war diese ganze Entwicklung tragisch. Gespräche konnten nichts klären, weil es sie nicht gab. Nach meinem Ausscheiden aus der ACD (Arbeitsgemeinschaft der Christengemeinden in Deutschland) konnte sie den Autoritätskonflikt in sich lösen, indem sie als Mutter wieder voll verantwortlich und bestimmend für mich war und zusätzlich als überzeugte Pfingstlerin ihrem in Sünde gefallenen Sohn wieder in den Stand der Gnade verhelfen mußte.
Unsere Beziehungen entwickelten sich auf einen Tiefstpunkt.
Meine späteren Partnerinnen Dagmar und Nilüfer duldete sie notgedrungen, erst mit Hannelore gab es so etwas wie ein: „Es ist in Ordnung so.“
Mit dem Zerbrechen der mütterlich-autoritären Beziehung zu mir baute sie eine Beziehung zu ihrer Seelenfreundin Marie-Lise Müller auf. Frau Müller wurde für sie der Inbegriff einer zärtlichen Liebesbeziehung im Herrn, die durch keine verbotenen oder unästetischen Tendenzen getrübt werden konnte. Die „reine Liebe“ der beiden Frauen zueinander war das Mysterium welches meine Mutter sehr glücklich machte und ihr den Abschied von mir vergoldete. Sie hatte mich verloren, aber dafür etwas unendlich beständigeres und Wertvolleres gefunden.
An dieser Stelle will ich Frau Müller ganz besonders danken, daß sie mir - durch ihre Beziehung zu meiner Mutter – die große Chance gab, mich viel freier und eigenständiger zu entwickeln, als es sonst der Fall gewesen wäre. Ich wußte meine Mutter in „guten Beziehungshänden“ und ausgefüllt mit „ihrer Liebe im Herrn zu Frl. Müller“, so daß ich meinen Weg gehen konnte.
Das Leben meiner Mutter war ständig begleitet von herzlichen und tiefen Freundschaften zu anderen Frauen. In meiner Säuglingszeit gab es Freundinnen im Zusammenhang mit Elfriede und den Diakonissen. In meiner späten Kindheit sind die jungen Frauen Irmgard, Traute, Loni, Lottchen, usw. zu nennen. Martha Schiess, eine Frau aus Wesel, deren Namen mir entfallen ist, Ilse Dorn, Judith von der Fuhr und viele andere wundervolle Frauen begleiteten ihren Weg. Aber „Frl. Müller“ war und blieb die Krone ihrer Beziehungsfähigkeit.
Nach wie vor begleiteten sie auch die zusammenschmelzenden Reste ihrer Familie.
Elfriedes Tod hat sie stark mitgenommen.
Der Tod von Ernst erschütterte sie.
Von der Restaurierung ihrer Wohnung und dem zeitweiligen Umzug in eine gegenüberliegende Wohnung erfuhr ich erst im Nachhinein. Ich war „in Sünde gefallen“ und „den Eltern gegenüber aufrührerisch“, so wurde ich auch gar nicht über diese umwälzenden Dinge in ihrem Leben informiert. Sie schloß mich aus ihren Lebensbezügen aus. Von anderen erfuhr ich über ihre Krankenhausaufenthalte, ihren Armbruch, usw..
Natürlich hat das in ihrem Rendsburger Umfeld Unverständnis ausgelöst, daß „der eigene Sohn sich nicht um die Mutter kümmert“.
Der Sohn machte inzwischen eine große Psychoanalyse mit 260 Einzelsitzungen bei Dr. med. Berning, Psychiater und Analytiker, den er ein Jahr später selbst begraben mußte und versuchte das wirkliche Ziel jeder Mutter, Leben für die Zukunft tauglich zu machen, in die Tat umzusetzen.
In Rendsburg machte Otto alles. Otto kam für alles auf. Otto blieb die Stütze ihres Lebens.
Die Entwicklung in der Gemeinde sah sie mit Skepsis und Enttäuschung. Der härteste Schlag für sie war die Auflösung des von ihr so geliebten Chores. Sie sang doch so gerne zum Lobpreis des Herrn.
Weiterhin begriff sie, daß entscheidende Aussagen in den theologischen Bezügen der Gemeinde der Vergänglichkeit unterworfen waren und sie gut daran tat, das Gruppenerlebnis zu genießen, aber die theologischen Aussagen nicht mehr ernst zu nehmen, wie damals in der Zeit ihrer großen Frage nach einer Wiederverheiratung. Ganz sicher hat auch mein Werdegang dazu beigetragen.
Dennoch blieb sie eine Suchende. Berge von Kassetten mit Predigten fanden sich in ihrem Nachlaß. Erst in der Ruhe ihres Wohnzimmers konnte sie im Nachhinein erleben und in dieser Nachbereitung wurden ihre Erlebnisse fest und schön. Im Erleben selbst nahm sie nur das Material der Situation in sich auf. Zum Erlebnis wurde alles erst in der Nachbereitung in der Sichtung ihrer unendlich vielen Fotos und im Anhören der Kassetten.
Ich muß bekennen, daß die zweite Lebenshälfte ihres Lebens fast vollkommen spurlos an mir vorbei gegangen ist. Es tut mir leid für sie und es tut mir leid für mich.
Dennoch folge ich dem, was Erich Fried so treffend gesagt hat:
„Es ist, was es ist.“
Mit meiner Mutter habe ich mich auf ihrem Totenbett endgültig versöhnt. Und bei ihrem letzten Besuch in diesem Hause schimmerte von ihrer Seite auch etwas durch, was nach Versöhnung klang.
Anfang Januar hatten wir unser letztes telefonisches Gespräch miteinander. Dabei wurde Versöhnung sichtbar; denn sie sprach erstmalig mit mir über ihren Tod. Sie wurde sich ihrer Nähe zum Tod bewußt und legte alles völlig offen in meine Hände.
Ich habe lange an diesem Text geschrieben und alle Formulierungen sorgfältig erwägt. Deshalb glaube ich, mit diesem Text ihrem Leben und unserer Beziehung optimal gerecht geworden zu sein.
Und ich bekenne abschließend:
Es ist alles in Ordnung mit ihrem Leben und ihrem Tod.
Musik: Summer Dream
Wir gehen jetzt gemeinsam zum Friedhof und wollen dort unsere Oma selbst begraben.
Nachdem wir unsern letzten gemeinsamen Weg mit Ruth Peters, geb. am 27.09.1919 und gestorben am 03.02.1999, gegangen sind, wollen wir sie zu ihrer letzten Ruhe betten und mit Blumen und Erde zudecken, damit niemand ihre Ruhe stört.
Ihrem Leben entsprechend ist es nicht angebracht, ein Vaterunser zu sprechen. Sie hat das nie gelernt und nie gekonnt. Ich möchte ihr ein Gebet der Urgemeinde widmen, welches ihren Leben und Glauben viel näher kommt:
Herr,
Du bist der Erste. Du bist der Letzte.
In Dir beginnt und in Dir endet alles.
Du bist der Ursprung und gleichzeitig das Ziel aller Dinge.
Du überdauerst alle Welten,
und bevor es eine Welt gab, warst Du schon.
Für Dich war kein Raum auf der ganzen Erde,
doch eine Krippe wurde für Dich groß genug,
und immer noch kann das ganze Weltall Dich nicht fassen,
doch gleichzeitig vermag schon ein Kind
Dich in sein Herz aufzunehmen.
Als Fürst des Lebens hast Du den Tod erduldet
und dabei den Tod überwunden.
Du bist der Allgegenwärtige
und als der Zukünftige wirst Du bald kommen
und alles erneuern.
Du sprengst alle menschlichen Begriffe und Vorstellungen.
Alle menschlichen Maßstäbe versagen vor Dir.
Der weiseste Mensch muß sich vor Dir wie ein Tor vorkommen,
doch selbst der größte Tor
darf sich Deiner Weisheit und Gnade rühmen.
Unfaßbar bist Du in Deiner Erniedrigung,
unfaßbar in Deiner Allmacht und Herrlichkeit.
Alle Schätze dieser Welt erscheinen vor dem Glanz
Deiner Herrlichkeit wie Unrat,
alle Gedankengebilde der Menschen
vor Deinem Wort wie sinnloses Stammeln.
Wer könnte Dein Wesen in Worte kleiden,
wer die Empfindungen Deiner Gegenwart aussprechen?
Wen Du gerufen hast,
der kann sich von Dir nicht mehr abwenden;
wen Du angerührt hast,
der kommt von Dir nicht mehr los.
Unbegreifliche Gnade, Dir zu gehören –
unbeschreibliches Glück, Dein eigen zu sein.