Balzac

Gespeichert von admin am Do., 01.10.2015 - 00:28

Liebe Frau NN,

liebe Angehörigen und Freunde

der Verstorbenen NN

Unsere Trauerfeier bedeutet, dass wir ein festes Datum setzen wollen, an dem wir gemeinsam von dem Verstorbenen Abschied genommen haben.

Es kann nicht sein, dass ein Mensch einfach weg ist und nie wieder zurück kommt. Darüber muss man nachdenken. Darüber muss man reden.

Und schließlich hat Oscar Wilde schon vor vielen Jahren aufgeschrieben, was immer noch Grundlage auch der heutigen Trauerfeier ist:

„Etwas, worüber man nicht redet, ist gar nicht geschehen. Erst das Wort gibt den Dingen Realität!“

Deshalb müssen wir reden. Reden über Leben und Tod. Reden über den Verstorbenen. Reden über Erinnerung und schließlich reden über den Abschied.

Ich möchte diesem Abschied einen Text des großen französischen Dichters Honore` de Balzac voranstellen:

Die Erinnerungen verschönern das Leben, aber das Vergessen allein macht es erträglich.

Wir haben zur Vorbereitung für diese Trauerfeier bei Ihnen zu Hause zusammengesessen und über den Verstorbenen gesprochen.

Sie haben mich an dem Schatz Ihrer Erinnerungen teilhaben lassen und ich hatte den unbestimmten Eindruck, dass es wirklich ein großer Schatz ist.

Diesen Schatz der Erinnerungen werden wir gleich etwas näher besprechen.

Doch zunächst ist es wichtig, dass wir diese Wahrheit, die Balzac hier ausspricht, etwas näher untersuchen und uns mit der Erinnerung allgemein beschäftigen.

Erstaunt werden Sie fragen: Wieso muss man sich damit beschäftigen, was Erinnerungen sind? Das wissen wir doch alle und wir alle haben viele Erinnerungen allgemeiner Art und natürlich auch viele spezielle Erinnerungen an den Verstorbenen.

Aber so einfach ist das nicht. Erinnerungen haben nämlich ganz eigenartige Merkmale:

- Das, was wir jeden Tag erleben, ist unendlich viel, dass wir überhaupt nicht in der Lage sind, alle Einzelheiten in unseren Erinnerungen aufzubewahren.

Ein Beispiel:

Jeder Tag hat 86 400 Sekunden und insgesamt 1440 Minuten. In jeder Sekunde erleben wir etwas und in jeder Minute passiert etwas in unserem Leben. Das können wir nicht alles behalten und erinnern. Wenn Sie schon mal etwa 5 Minuten an der Bushaltestelle gewartet haben, dann haben Sie ein Gefühl dafür, wie lang 5 Minuten sein können.

Erinnerungen und Vergessen gehören zusammen, sie sind nicht zu trennen. Das eine ist nur möglich, weil es das andere gibt. Ohne die Gnade des Vergessens kann es keinen Trost des Erinnerns geben.

- Aber weil wir gar nicht alles behalten können, deshalb wählen wir aus, was wir aus bestimmten Gründen – die wir selbst bestimmen - behalten können und wollen.

Daraus ergibt sich, dass Erinnern immer auswählen ist.

Wenn wir uns also an einen verstorbenen Menschen erinnern, dann erinnern wir das, was wir lange vorher schon für erinnernswert gehalten haben und deshalb auch abgespeichert haben. Wir haben ausgewählt. Unsere Erinnerung ist das Produkt unserer Auswahl.

Und was wir nicht erinnern wollten, ist und bleibt vergessen.

Menschen, die z.B. viel Tragisches erlebt haben, vergessen das meiste, damit sie weiterleben können. Andere Menschen, die z.B. unendlich viel gearbeitet haben, vergessen auch davon sehr viel. Das erste schmerzt in der Erinnerung und das zweite langweilt. Klar, das viel vergessen werden muss.

- Nun stellt sich die spannende Frage, welche Maßstäbe benutzen wir für unsere Auswahl?

Da gibt es drei verschiedene Maßstäbe:

1. Wenn wir den Menschen geliebt und gemocht haben, dann werden wir das auswählen, was uns zu einer bleibenden schönen und süßen Erinnerung werden kann.

Wir versetzen uns in die schönen Tage mit dem Verstorbenen zurück und langsam steigt in uns ein warmes Gefühl der Dankbarkeit auf.

2. Wenn wir ein eher kritisches und streitiges Verhältnis zu dem Verstorbenen gehabt haben, werden wir ganz automatisch diese kritischen und vielleicht auch streitigen Erlebnisse mit ihm erinnern.

Nicht umsonst heißt es in einem Sprichwort: Ich habe viele Fehler, wenn Du wenig Liebe hast!

3. Und wenn wir ein eher neutrales nachbarschaftliches Verhältnis miteinander hatten, dann werden uns die kritischen und streitigen Aspekte wenig interessieren, genauso wenig, wie die schönen liebevollen und süßen Aspekte. Und wenn in der Trauerfeier der eine oder andere Aspekt zu stark hervorgehoben wird, langweilt uns das und wir werden ärgerlich.

In solchem Falle werden wir ganz neutral daran erinnern, z.B. „das hat er gut gemacht“ und „in dieser Sache hier lag er voll daneben“.

Wir sind eben neutral.

Wir erinnern also nicht das, was alles wirklich war, sondern das, was wir erinnern möchten. Das haben wir aus dem unüberschaubaren Paket des gelebten Lebens für uns herausgezogen.

Daraus entsteht der Streit um die Erinnerung. Der eine sieht das so und der andere ganz anders, weil sie nach bestimmten inneren Vorgaben sich dieses oder jenes herausgesucht haben.

Der Kybernetiker Heinz von Foerster sagte: Jede Beobachtung setzt einen Beobachter voraus!“

Und so wird es uns auch hier und jetzt in dieser Trauerfeier gehen. Jeder erinnert etwas anderes, nämlich das, was wir erinnern wollen. Und das ist gut so.

 - Aber es gibt noch etwas ganz wichtiges zu bedenken:

Mit dieser Methode, dass wir unsere Erinnerungen ausgewählt haben, hat uns die Natur eine mächtige Waffe in die Hand gegeben, um Schmerz und Leid wirksam in uns zu bekämpfen.

Wir benötigen diese ganze Reihe von abenteuerlichen Vorstellungen über das Jenseits, die Zeit nach dem Tode (falls es sie überhaupt geben sollte), ein ewiges Leben, usw. nicht. Wir erinnern uns einfach. Und wenn wir Sehnsucht nach dem Verstorbenen haben, erinnern wir uns.

Die Erinnerung wird von uns selbst so gestaltet, wie wir sie brauchen. Diese mächtige Freiheit besiegt jeden Tod.

Balzac hat das alles auf den Punkt gebracht:

- Wir vergessen, was uns nicht gefallen hat,

- und wir behalten, was uns unser Leben schöner macht.

Erinnerungen sind das Fundament unserer Zukunft. Wir müssen unsere Erinnerungen so rekonstruieren, dass sie uns in unserer Zukunft helfen.

Und ich bin der Meinung, im Leben des N.N. gibt es ganz viele Erinnerungen, die Ihr kommendes Leben ohne den Verstorbenen immer helfend und schön machen können.

Von denen wollen wir jetzt einige miteinander besprechen:

(Es folgt der Lebenslauf des Verstorbenen mit den biografischen Daten (dem Gedächtnis) gemischt mit den Erinnerungen (den subjektiven Einfärbungen).

Abschied

Zum Schluss müssen wir auch noch über das Schwerste reden, nämlich darüber, dass wir uns entscheiden, unseren Frieden mit dem Leben und Tod des Verstorbenen zu machen. Eine Alternative dazu gibt es nicht.

Während Sie das bei sich selbst bedenken und beschließen, werde ich dem Verstorbenen einen Text aus meinen Unterlagen widmen:

Das Gute
Fliegt jetzt davon
Dorthin
Wo alles
Nicht immer
In die Vergangenheit fällt
Sondern täglich
Auf- und niedergeht
Wie die Sonne

 

Nachdem wir nun unseren letzten gemeinsamen Weg mit dem Verstorbenen gegangen sind, betten wir nun

NN, geboren am XXX und gestorben am XXX zu seiner letzten Ruhe.

Wir wollen nicht klagen, weil wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn – wenn auch nur für kurze Zeit - unter uns hatten.

Wir wollen ihn nun mit Blumen und Erde zudecken, damit niemand seine Ruhe stört.

Ruhe in Frieden

© Uwe Peters

Trauerreden