Buddha

Gespeichert von admin am Do., 01.10.2015 - 00:38

Liebe Frau NN,

liebe Angehörigen und Freunde

der Verstorbenen NN

Der viel zu frühe und erschreckend plötzliche Tod des Verstorbenen lässt kaum Raum für Besinnung und einen ordentlichen Abschied.

Alles ist so grausam zerstörend und blitzartig über Sie gekommen, dass Ihre inneren Systeme das alles gar nicht verarbeiten können und als Notfallmaßnahme Ihren ganzen Körper mit einem abmildernden und betäubenden und darin auch wohltätigen Schock überfluten.

Dieser Notfallmaßnahme Ihrer inneren Systeme möchte ich mit einem uralten Text aus dem Buddhismus in dieser Trauerfeier entsprechen.

„Buddha erzählt in einem Sutra eine Parabel:

Ein Mann, der über eine Ebene reiste, stieß auf einen Tiger. Er floh, den Tiger hinter sich. Als er an einen Abgrund kam, suchte er Halt an der Wurzel eines wilden Weinstocks und schwang sich über die Kante.

Der Tiger beschnupperte ihn von oben. Zitternd schaute der Mann hinab, wo weit unten ein anderer Tiger darauf wartete, ihn zu fressen. Nur der Wein hielt ihn.

Zwei Mäuse, eine weiße und eine schwarze, machten sich daran, nach und nach die Weinwurzel durchzubeißen.

Der Mann sah eine saftige Erdebeere neben sich. Während er sich mit der einen Hand am Wein festhielt, pflückte er mit der anderen die Erdbeere.

Wie süß sie schmeckte!“

(aus: Ohne Worte - ohne Schweigen, Paul Reps, 1985 Otto Wilhelm Barth Verlag)

Als Sie mir die Geschichte des Verstorbenen erzählten war ich genau so ratlos, wie Sie. Wohin ich auch schaute, sah ich nur große Not und sehr viel Leid.

Es scheint, als ob der Buddha diese alte Parabel für Sie und Ihre Situation erzählt hätte. Wollen wir sie hier und jetzt ein wenig näher betrachten.

Ein Mann reiste über eine Ebene. Er ahnte nichts Böses. Vielleicht hatte er den Kopf voller Pläne und Ideen, was er am Ziel seiner Reise alles erledigen wollte.

Plötzlich stieß er auf einen Tiger. Dieser Tiger bedeutete für ihn Tod und Vernichtung. Also tat er, was er konnte: Er floh – die einzige Richtung, in der er fliehen konnte, war auf einen Abgrund zu.

Er schwang sich über die Kante und konnte sich an einer Weinwurzel festhalten.

Ich denke, es geht Ihnen jetzt ganz genauso. Das blanke Entsetzen hat auch Sie durch den Tod des Verstorbenen ergriffen. Vor Ihrem inneren Auge sehen Sie nur noch den Abgrund unter sich und den Tiger des Todes über sich. Sie haben keinen festen Halt mehr unter den Füßen und klammern sich mit letzter Kraft an die Wurzeln Ihres Lebens und Überlebens.

Aber der Abgrund ist nicht nur tief und gefährlich für Sie, sondern dort wartet sichtbar auch eine andere ganz große Gefahr auf Sie. Ein anderer Tiger wartet darauf, Sie zu fressen.

Und schließlich merken Sie, dass die Mäuse der Sorgen und inneren Nöte auch Ihren letzten Halt aufzufressen beginnen.

Wohin Sie sich wenden, Leid, Not und Chaos starrt Sie von allen Seiten an. Es gibt im Augenblick auch keine Möglichkeit der Rettung für Sie.

Den Tiger des Todes des Verstorbenen können Sie nicht verjagen. Den Abgrund können Sie nicht auffüllen. Den anderen Tiger - des Lebens ohne den Verstorbenen unten im Abgrund - können Sie auch nicht verscheuchen. Und schließlich haben Sie nicht einmal die Möglichkeiten die beiden Mäuse zu vertreiben.

In unserer Geschichte gibt es dennoch eine Hilfe. Dieser in so große Not geratener Mann sieht eine saftige Erdbeere neben sich. Er pflückt sie und er kann sie genießen.

Mehr kann er in dieser verrückten Situation nicht tun. Mehr können Sie jetzt auch nicht tun. Sie können, ja Sie müssen in dieser ausweglosen Situation die kleinen Hilfen und die kleinen Erquickungen tief in sich aufnehmen. Das rettet Sie. Das bringt Sie durch diese Katastrophe.

Und für Sie als Freunde der Familie heißt das, überlegen Sie, wie Sie der Familie eine kleine Freude machen können. Diese Freude kann so klein sein, wie eine Erdbeere.

Dabei ist schnelle Hilfe doppelte Hilfe.

Das große Werk des Tröstens kann keiner von uns vollbringen. Deshalb sollten wir es gar nicht versuchen. Aber so eine kleine Erdbeere kann Wunder bewirken.

Wir haben z.B. die Kapelle geschmückt mit vielen Blumen. Sie alle gelten dem Verstorbenen. Sie sind ein Symbol auf sein Leben in der vergehenden Schönheit. Und das ist richtig so!

Aber warum sollte seine Familie nicht auch zu Hause ein paar ausgewählte Blumen bekommen, oder etwas anderes, was Sie sich für die Familie ausgedacht haben und ihnen Freude bereitet? Auch wenn es buchstäblich ein paar frische Erdbeeren sind!

In dieser verzweifelten Situation kann man nur für den Augenblick so etwas wie eine kleine Linderung und Erholung schaffen.

Aber man muss auch offen sein dafür. Ich wäre vielleicht in dieser Situation viel zu aufgeregt, so dass ich die Erdbeere gar nicht wahrgenommen hätte. Und so ist es mir in verschiedenen Notlagen, in die ich selbst hinein gekommen bin, oft auch ergangen. Andere Leute haben sich Mühe gegeben um mir eine kleine Freude zu machen, aber ich habe es gar nicht wahrgenommen. Ich war so in meinem leidvollen Gefängnis eingesperrt und vertieft, dass ich die Erquickung überhaupt nicht annehmen konnte.

Auch das Wahrnehmen muss man lernen.

Beides brauchen wir in diesen Tagen:

Von Ihnen wird erwartet, dass Sie offen sind für diese und jene „kleine Erdbeere“ und von Ihren Freunden wird erwartet, dass sie diese „kleinen Erdbeeren“ Ihnen anbieten.

Auf diese Weise hilft man sich in solchen Notlagen gegenseitig.

Genau deshalb ist diese Geschichte seit 2500 Jahren bekannt und wird immer weiter erzählt. In Augenblicken höchster Not kann sie uns helfen, damit wir im Leid nicht untergehen, sondern wissen, wie man damit umgehen kann.

(Es folgt der Lebenslauf des Verstorbenen mit den biografischen Daten (dem Gedächtnis) gemischt mit den Erinnerungen (den subjektiven Einfärbungen).

Abschied

Die Geschichte des Buddha hat uns gezeigt, dass wenn wir die Dinge selbst nicht ändern können, dann müssen wir uns verändern.

Zu diesem „uns selbst verändern“ in dieser Katastrophe gehört, dass wir unseren Widerstand dagegen aufgeben und uns in das Unvermeidliche fügen. Nur so gewinnen wir unsere Kräfte zurück um in diesem Leben weiter zu machen.

Die gebräuchliche universale Formel in den Trauerfeiern heißt deshalb so oder ähnlich:

Wir sind nun aufgefordert unseren Frieden mit dem Leben und Tod des Verstorbenen zu machen.

Eine Alternative dazu gibt es nicht.

Während Sie das bei sich selbst bedenken und beschließen, werde ich dem Verstorbenen einen Text aus den Gedichten von Erich Fried widmen:

Was weh tut

Wenn ich dich
verliere
was tut mir dann weh?

Nicht der Kopf
nicht der Körper
nicht die Arme
und nicht die Beine

Sie sind müde
aber sie tun nicht weh
oder nicht ärger
als das eine Bein immer weh tut

Das Atmen tut nicht weh
Es ist etwas beengt
aber weniger
als von einer Erkältung

Der Rücken tut nicht weh
auch nicht der Magen
Die Nieren tun nicht weh
und auch nicht das Herz

Warum
ertrage ich es
dann nicht
dich zu verlieren?

Nachdem wir unseren letzten gemeinsamen Weg mit dem Verstorbenen gegangen sind, betten wir nun

NN, geboren am XXX und gestorben am XXX zu seiner letzten Ruhe.

Wir wollen nicht klagen, weil wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn – wenn auch nur für kurze Zeit - unter uns hatten.

Wir wollen ihn nun mit Blumen und Erde zudecken, damit niemand seine Ruhe stört.

Ruhe in Frieden

© Uwe Peters

Trauerreden