Sascha Wagner

Gespeichert von admin am Do., 01.10.2015 - 01:46

Liebe Frau NN,

liebe Angehörigen und Freunde

der Verstorbenen NN

Wir müssen von dem Verstorbenen Abschied nehmen und darüber nachdenken, wie man mit einem solchen Verlust durch Tod optimal umgehen kann. Die Anforderungen des Alltags hören ja nicht auf, wenn ein Mensch aus unserem engen Beziehungsbereich gestorben ist

Im Gegenteil, sie stürmen mit erhöhtem Druck auf uns ein.

Sascha Wagner schildert uns diese verzweifelte Situation und aus eigener Erfahrung zeigt sie uns einen Ausweg, der nicht nur schön klingt und vernünftig ist, sondern der auch hilft.

Ich lese einen Text von Sascha Wagner, die ihr Kind durch Tod verloren hat:

Über das „Stark-Sein“

Viele Menschen sind überzeugt davon
dass Stark- und Tapfer-Sein bedeutet

an „etwas anderes“ zu denken
nicht über die Trauer zu sprechen
Aber wir wissen
dass wirklich Stark-
und Tapfer-Sein bedeutet
an das Geschehene zu denken
über das Gewesene zu sprechen
bis unsere Trauer beginnt
erträglich zu werden
Das ist wirkliche Stärke
das ist wirklicher Mut
Und nur so wird
Stark- und Tapfer-Sein
uns zur Heilung tragen

Was ist das eigentlich: „Stark- und Tapfer-Sein?“

Sascha Wagner erzählt aus ihrer eigenen leidvollen Geschichte, dass viele Menschen in der Situation der Hinterbliebenen Stark- und Tapfer-Sein als eine Bringeschuld der Hinterbliebenen definieren.

Es ist nicht genug, dass die Hinterbliebenen einen lieben Menschen verloren haben, sondern sie sind nun auch noch verpflichtet den anderen Menschen positiv und strahlend zu begegnen.

Die Hinterbliebenen sollen an etwas anderes denken. Sie sollen ihren Gegenübern Lebensmut einflößen, Fröhlichkeit bewirken und deren Kraft zum Durchhalten im Lebenskampf unterstützen.

Das ist leider auch ein Teil der unterschwelligen Botschaft in dieser Bitte: „Denk an etwas anderes, sei tapfer!“

An was sollen die Hinterbliebenen denn denken, statt an ihren verstorbenen Menschen? An was „anderes“ sollen die Hinterbliebenen denken, damit sie ihre Stärke beweisen? Gibt es überhaupt etwas anderes, was wichtiger, größer und interessanter sein kann, als der Verstorbene und sein Leben?

Wir wissen es instinktiv aus tiefster innerer Überzeugung, dass wir über das Geschehene nachdenken wollen und müssen, dass wir über das Gewesene immer wieder reden müssen, weil jedes Reden uns eine neue Fassette des geliebten verstorbenen Menschen sichtbar macht und bleibend in unseren Erinnerungen verankert. Und jedes Mal, wenn wir die alten Erinnerungen wiederholen, nutzt sich der innere Druck ein ganz klein wenig ab. Jedes Mal sehen wir unseren verstorbenen Menschen in einer etwas anderen Beleuchtung und jedes Mal wird die maßlose Sehnsucht nach dem verstorbenen Menschen ein ganz klein wenig stiller.

Jedes erinnernde Gespräch ist immer auch ein Stück Rekonstruktion unseres Lebenshauses, welches uns in Zukunft beherbergen muss. Jedes Gespräch über den Verstorbenen schafft wieder ein Stück Mauer, eine Tür, ein Fenster, einen Wasserhahn und ein Stück Tapete in unserem Lebenshaus, was durch den Tod des Verstorbenen zerstört worden ist, was wir aber um unserer Zukunft willen dringend restaurieren und neu aufbauen müssen.

Es ist ein schmerzhafter Prozess, den wir eigentlich gar nicht wollen. Aber wir haben uns entschlossen, dass das Leben Vorrang haben soll und deshalb muss die Sehnsucht nach dem, was nicht mehr sein kann, ganz langsam und stetig leiser und leiser werden und konstruktiv zu einem Baustein unserer Zukunft werden.

Die Hinterbliebenen bringen ein maßloses Opfer für das Leben. Und ich kann gut verstehen, dass viele Menschen dieses Opfer nicht bringen wollen. Was soll dieses Leben noch ohne den geliebten Menschen?

Wir können die Sehnsucht nach dem verstorbenen Menschen und nach dem Tod nur überwinden, wenn wir Schritt für Schritt über das Gewesene reden und immer wieder reden und über das Geschehene nachdenken. Wollen wir das Leben gewinnen, müssen wir stark sein. Dazu gehört nicht auszuweichen, zu kneifen, zu vermeiden und der Sache zu entfliehen.

Unsere Aufgabe ist das Leben, und das funktioniert nach dem Tod eines geliebten Menschen nicht mehr von alleine oder sogar automatisch. Wir müssen uns für das Leben entscheiden. Und diese Entscheidung fällt schwer, weil der geliebte Mensch, der uns viele Male zum Sinn unseres Lebens geworden ist, nicht mehr da ist.

Jetzt müssen wir zu unserem Leben ohne den anderen ja sagen. Das Leben, welches wir bei unserer Geburt automatisch angenommen und bejaht haben, müssen wir nun nach dem Tod unseres verstorbenen Menschen ganz bewusst wieder neu bejahen und annehmen.

Und deshalb wollen wir jetzt auch im Sinne des Textes von Sascha Wagner über das Gewesene sprechen. Damit wollen wir unser Lebenshaus für die Zukunft rekonstruieren und fest machen. Wir wollen eintauchen in das Geschehene und daran ausprobieren, ob wir es schaffen, dankbar für die vielen schönen Erlebnisse und Erfahrungen zu werden.

(Es folgt der Lebenslauf des Verstorbenen mit den biografischen Daten (dem Gedächtnis) gemischt mit den Erinnerungen (den subjektiven Einfärbungen).

Abschied

In unserer Trauerfeier haben wir nicht „an etwas anderes gedacht“, sondern haben über „das Gewesene gesprochen“.

Und wir erleben es in diesen Augenblicken, dass wir das alles aushalten können und wenn wir zurück blicken, dann haben wir jetzt ganz konkret erfahren, dass „darüber reden“ nicht schwerer macht, sondern „leichter“.

Jetzt greifen wir mutig unsere letzte Aufgabe der Trauerfeier an.

Die gebräuchliche universale Formel in den Trauerfeiern heißt dazu so oder ähnlich:

Wir sind nun aufgefordert unseren Frieden mit dem Leben und Tod des Verstorbenen zu machen.

Eine Alternative dazu gibt es nicht.

Während Sie das bei sich selbst bedenken und beschließen, werde ich dem Verstorbenen einen Text aus den Gedichten von Erich Fried widmen:

Vorübung für ein Wunder

Vor dem leeren Baugrund
Mit geschlossenen Augen warten
Bis das alte Haus
Wieder dasteht und offen ist

Die stillstehende Uhr
Solange ansehen
Bis der Sekundenzeiger
Sich wieder bewegt

An Dich denken,
Bis die Liebe
zu Dir

Wieder glücklich sein darf

Das Wiedererwecken
Von Toten
Ist dann
Ganz einfach

Nachdem wir unseren letzten gemeinsamen Weg mit dem Verstorbenen gegangen sind, betten wir nun

NN, geboren am XXX und gestorben am XXX zu seiner letzten Ruhe.

Wir wollen nicht klagen, weil wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn unter uns hatten.

Wir wollen ihn nun mit Blumen und Erde zudecken, damit niemand seine Ruhe stört.

Ruhe in Frieden

© Uwe Peters

Trauerreden