Name | Glas | ||
Vorname | Paul | ||
Geboren | |||
Geboren | 31.12.1925 | ||
Gestorben | 25.04.2010 | ||
Ort | Bremerhaven | ||
Friedhof | |||
Datum | 03.05. 2010 | ||
Redner | |||
Bestatter | Bestattungsinstitut Koop | ||
Homepage |
Liebe Frau Glas,
liebe Angehörige und Freunde
des verstorbenen
Paul Glas
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Wenn ein Mensch für immer aus unserer Mitte weggegangen ist, erstreckt sich der Prozess des Abschiednehmens über unendlich viele Dinge, die zu erledigen sind und über sehr viele Monate, die ganz geduldig zu überstehen sind.
Die Dinge, die erledigt werden müssen, sind nur zum geringen Teil jene Äußerlichkeiten, von denen zum Glück der Bestatter vieles abnimmt und damit erleichtert.
Viel schwerer ist die Einübung in ein Leben ohne den verstorbenen Menschen. Auch das muss „erledigt“ werden und somit zum Abschluss kommen. Und das braucht ganz viel Zeit. Neues Leben entsteht im Mutterleib in neun Monaten. Wie kann Ihr neues Leben ohne den Verstorbenen in einem kürzeren Zeitraum wachsen und sich entfalten?
Diese viele Zeit ist notwendig, um aus den ganz aktuellen gefühlsmäßig schwankenden Erinnerungen stabile, zuverlässige und das zukünftige Leben tragende Erinnerungen zu gestalten.
Hier in der Trauerfeier beginnt dieser Prozess der Erinnerungsgestaltung, also des gezielten Neubeginns mit dem Material der Vergangenheit.
Wenn Sie nur an die wenigen Tage unserer Zusammenarbeit denken, dann hat sich Ihre Erinnerung doch schon ganz wesentlich verändert. Bei unserem ersten Gespräch haben Sie mir einen Ordner gezeigt, der nur zu einem Drittel mit Papieren gefüllt war. Alle Papiere, die den Verstorbenen betrafen, waren weg. Nur die Dokumente seiner Ehefrau waren alle noch eingeheftet.
Nein, er wollte kein Brimborium bei der Trauerfeier und keine großartigen Reden. Alles war ihm unwichtig geworden in der Vorahnung seines Todes.
Wir respektieren seinen Wunsch und Willen. Unsere Trauerfeier und unser Reden über ihn hat deshalb nichts damit zu tun, dass wir ihn noch einmal mit feierlichen Worten ehren wollen, sondern es hat mit uns, mit Ihnen, den Weiterlebenden zu tun. Wenn wir über den Verstorbenen reden, tun wir das um unsertwillen, denn Leben ist Zukunft und Zukunft ist Leben. Wenn der Arzt sagt: „Da ist keine Hoffnung mehr“, dann heißt das, es gibt keine Zukunft und kein Leben mehr.
Aber Hoffnung, Zukunft und Leben ist immer nur möglich „ab jetzt“.
„Ab jetzt“ ist nur möglich, weil es etwas vor diesen „ab jetzt“ gibt, nämlich die Vergangenheit.
Ein wesentlicher Aspekt der Vergangenheit ist in Ihrem Leben der Verstorbene. Die Vergangenheit ermöglicht erst die Zukunft. Ohne Vergangenheit kann es keine Zukunft geben.
Deshalb wollen wir hier auch kein „ehrenvolles Gedenken“ an den Verstorbenen abhalten, sondern uns selbst, Sie selbst für die Zukunft besser ausrüsten. Wir müssen also über ihn reden, nicht um seinet Willen, sondern um Ihretwillen.
Sie müssen Ihre Zukunft, Ihr Lebenshaus bauen und ab jetzt auch mit den Steinen seines - durch seinen Tod - abgerissenen Lebenshauses.
Paul Glas
ist am 31.12.1925 in Sellstedt zu uns in diese Welt gekommen.
Mit seinen beiden älteren Geschwistern Walter und Katharina wäre eigentlich eine moderne Familie schon mehr als vollzählig gewesen. Aber nach ihm wurden noch die Geschwister Georg, Gretel (Margarethe), Erika, Alfred, Rolf, Adolf, Peter, Angelika, Wilfried und noch ein kleiner Nachkömmling geboren.
Diese große Geschwisterschar ist geschrumpft auf Katharina, die in einem Heim lebt, Erika, Alfred, Adolf, Peter und Angelika, die alle um ihren Bruder trauern.
Rolf ist als Jugendlicher von einem Ketten- Karussell gestürzt und das jüngste Kind ist auf Grund der eigenen Erfahrungen des Verstorbenen im Krieg namenlos geblieben und verhungert und erfrorenen, als er in Gefangenschaft war.
Nach seiner Schulzeit in Sellstedt machte Paul Glas eine Lehre zum Modelltischler auf der Lloyd-Werft.
Kaum hatte er die Lehre beendet, dann musste er zur Wehrmacht. Er wurde beim Heer eingesetzt und kam schon recht früh in russische Gefangenschaft und wurde nach Sibirien transportiert.
Die Vermisstenmeldung an seine Eltern liegt noch in seinen restlichen Unterlagen. Die verzweifelte Mutter ging zur Wahrsagerin und die prophezeite ihr, dass Paul lebt und wieder nach Hause kommt und 84 Jahre alt wird. Das war eine große Hilfe für die Mutter, die dasselbe in sich fühlte.
In Sibirien war er am Verhungern und wurde schon fast tot in ein Massengrab geworfen. Irgendwie kam er wieder zu sich und mit letzter Kraft kroch er aus dem Loch wieder raus. Am 25.11.1949 kam er nach 7 Jahren Gefangenschaft über Friedland wieder nach Hause. Wenige Wochen vorher hatten sich seine Brüder Walter und Georg als Heimkehrer in Friedland auch getroffen.
Das jüngste Geschwisterkind hatte er nie gesehen und nur davon gehört. Er identifizierte sich mit diesem Geschwisterkind und seine Geschichte mischte sich mit der Geschichte seines Geschwisterkindes.
Zurück aus der Gefangenschaft nahm er an Arbeit, was er bekommen konnte. Er arbeitete im Torf, in der Landwirtschaft und im Straßenbau.
In dieser Zeit musste eine Menge Leben nachgeholt werden. Die nach dem Krieg überlebenden strotzten vor Lebenslust.
Sein Bruder Walter hatte in Hipstedt eine Freundin. Natürlich wollte er zum dortigen „Lumpenball“ im Frühjahr 1950. So lernte er dort die junge, wunderschöne und bezaubernde Ursula (Ulla) Million kennen und lieben. Rudi Carell hat bei dem Verstorbenen das volle wellige Haar, die Lebenslust, den Schalk, den Humor und das überzeugende Auftreten als Charmeur damals sehr geschickt abgeguckt. Seine Ulla hat in Hipstedt im Volkstheater mitgespielt und da sollte er einspringen, als der eingeplante „Liebhaber“ nicht kam. Paul Glas kannte keinen Text, aber den Liebhaber spielte er sehr überzeugend.
Im Oktober 1950 haben sie sich in Hipstedt verlobt.
Die Verbindungen zwischen Sellstedt und Hipstedt wurden immer enger, auch dadurch, dass die drei Sellstedter Geschwister Walter, Paul und Erika mit ihren Partnern noch ein viertes fremdes Pärchen eingliederten und nun zwei Orte für ihre fröhlichen Feiern zur Auswahl hatten.
Am 19.04.1952 haben die Liebenden in Oerel ihren Bund für ein langes gemeinsames Leben geschlossen, den dieser Tod nach 58 Jahren nun für immer geschieden hat.
Ihnen wurden die beiden Söhne Günter (1952) und Jürgen (1955) geboren.
Jetzt brauchte er geregeltes und besseres Einkommen, also entschloss er sich, zur See zu fahren. Am 26.07.1954 heuerte er auf der T/S „Arosa Kulm“ mit Heimathafen Panama als Kochsmaat an.
Die TS „Arosa Kulm“ gehörte mit den Schiffen TS „Arosa Sun“ und TS „Arosa Star“ und der TS „Seven Seas“ zu den berühmten „Auswandererschiffen“, die im Liniendienst die Auswanderer nach New York brachten.
Am 11. Jan. 1956 musterte er als II. Anrichter für immer aus der Seefahrt ab. Die wirtschaftlichen Verhältnisse hatten sich in Deutschland gebessert und den Rest der Auswanderer übernahmen die neuen großen Flugzeuge. Die Passagierfahrt wurde mit den Schiffen eingestellt.
Der wirtschaftliche Aufschwung entwickelte sich und hochwertige Staubsauger, besonders von Vorwerk, ließen sich gut verkaufen. Wenn er dann die Hausfrauen überzeugt hatte, dass sie unbedingt einen Vorwerk brauchten, dann konnte der Verkauf dennoch manchmal nichts werden, weil im ganzen Haus nirgendwo eine Steckdose zu finden war.
Er suchte sich andere Arbeit und wurde der schönste Straßenbahnschaffner Bremerhavens. Darauf legte er Wert. Weil in der Straßenbahn von dem ganzen Schaffner nur die obere Körperhälfte über dem Zahltisch zu sehen war und die Schuhspitzen, unter der Knieblende, legte er großen Wert auf seine blitzblank geputzten Schuhe. Und die Frauen bemerkten das schon…
Aber das war es auch nicht, was er langfristig arbeiten wollte. Übergangsweise ging er zur Fischmehlfabrik Willems im Fischereihafen. Bei gutem Wind zog das Willems-Parfum über ganz Geestemünde.
Endlich fand er Mitte der 60er Jahre als Schiffszimmerer bei der Rickmers-Werft seinen letzten, endgültigen und ihn befriedigenden Arbeitsplatz. Nach einigen Jahren wurde er der Helgenmeister der Werft und ging 1985 in den wohlverdienten Ruhestand.
Aber das war nicht so sein Ding. Bei der Wach- & Schließgesellschaft konnte er noch um die zehn Jahre stundenweise in der Woche arbeiten. Er musste was zu tun haben.
Die Wach- & Schließ setzte ihn auf verschiedenen Arbeitsplätzen ein. Der Arbeitsplatz beim AWI als Pförtner hat ihm besonders gut gefallen.
In weiser Voraussicht hatten sich die Eheleute schon 1981 einen Garten im Gleisdreieck gepachtet. Der Zimmermann baute ein schönes Gartenhaus und bis ins Jahr 2002 bewirtschafteten die Eheleute ihren Garten.
Seine Jungs lästerten über ihn und seinen Garten: Den Rasen schneidet er mit der Nagelschere, die Beete misst er mit dem Zollstock ab und wehe, jemand hat mal daneben getreten oder Papier oder Unkraut verloren. Beim Umgraben helfen durften die Jungs nur nach genauster Anweisung. Er war ein strenger Aufseher.
Aber sein Günter mit seiner Dagmar brachten ihm drei Enkel, den Marcus (37), die Mona (33) und den Florian (24) ins Haus und in den Garten.
Und auch Jürgen und seine Susanne brachten ihre Maren (29) mit in den Garten.
Die waren ja noch so klein und konnten ja die Gartenregeln alle gar nicht wissen. Wenn die über die Beete latschten, nahm er die Harke und alles war ungeschehen gemacht. Seine Jungs guckten sich nur verständnislos an.
Dieses neue System galt dann auch für die Urenkel Dominik (11), Christin (11), Zoe`(1) und Niklas (13), Lea (9), Elias (5) und Hannah (2).
Die Privilegien, die Maren hatte, übertrugen sich später natürlich auch auf ihren Jan.
Im Garten gab es Kaninchen, Zwerghühner und auch Meerschweinchen. Die Meerschweinchen machten Probleme. Die vermehrten sich sehr fruchtbar. In den Kochtopf – das kriegte er auch nicht fertig. Er hatte eine Idee: Schließlich waren die Tiere ja von Wassenaar. Also rein in einen Karton mit den kleinen Schweinchen und bei Wassenaar vor die Tür damit. Mit völlig unschuldigem Gesicht ging er rein um an der Kasse zu melden, das da jemand einen Karton mit Tieren vor der Tür wohl vergessen hätte…
Seine damaligen Enkel und Urenkel wissen die Geschichte noch ganz genau, lassen Sie sich diese und andere Geschichten erzählen…
Die andere Geschichte ist genau so lustig. Er hatte Kartoffeln gepflanzt. Nach wenigen Wochen kaufte er sich frisch aussehende Kartoffeln und buddelte sie unter die gerade aufgehenden Pflanzen. Als alle Spuren beseitigt waren, ging er zu den Nachbarn und mäkelte über deren Kartoffeln. Die seien viel zu spät. Er hätte schon tüchtig geerntet. Die Nachbarn glaubten ihm kein Wort. Er holte sie in seinen Garten und sie durften selbst die Kartoffeln ausbuddeln. Er hatte ja eine besondere Sorte, nämlich die Turbo-Kartoffeln…
Mit demselben Trick ärgerte er auch die Gartennachbarinnen, wenn er vor ihren Augen die schönen, roten, reifen und dicken Radieschen herauszog. Großzügig gab er ihnen auch einige ab…
Mit den Enkeln baute er aus einem einfachen Schlauchboot eine Rennsegelyacht. Schwert und Mast hatte er selbst gebaut und wenn er sie mit den Kindern segelte, wurden sie auch immer erster am Ziel…
Mit seiner Ulla kam er mehrmals nach Spanien, auch nach Österreich und einige andere Gegenden lernten sie kennen. Aber er hatte seine Familie, die Enkelkinder und den Garten, da brauchte er keine großen Reisen.
Aber auch der Meisterkoch mit seinen Kohlrouladen und seinen selbst geräucherten Aalen, der mit böser Verleumdung seine schöne Ulla vor den begehrlichen Konkurrenten schützen wollte, indem er überall behauptete, sie sei dick und hässlich, der so gerne Mundharmonika spielte, wurde auch älter und hinfälliger.
Jan und Maren haben Opa mobilisiert und ihm zu einem Elektroroller verholfen, mit dem er bis Loxstedt gefahren ist. Er hat mit dem Roller auch noch Gartenstühle vom Baumarkt geholt. Nein, er war nicht klein zu kriegen.
Sein Geburtstag war bis zuletzt der Höhepunkt seines Jahres. Er versuchte allen deutlich zu machen, dass ganz Deutschland seinen Geburtstag mit Feuerwerk und Raketen feiern würde.
Neben verschiedenen Erkrankungen suchte ihn zuletzt eine Lungenentzündung heim. Am 25.04.2010 ging er von seinem zu Hause dorthin für immer zurück, von wo er vor 84 Jahren zu uns in diese Welt gekommen ist.
Abschied
Wir müssen Abschied nehmen.
Dazu ist es notwendig, dass Sie alle Ihren Frieden mit dem Verstorbenen machen.
Während Sie das so still bei sich selbst entscheiden, werde ich dem Verstorbenen einen Text aus den Gedichten von Hermann Hesse widmen:
Jede Blüte will zur Frucht,
jeder Morgen Abend werden.
Ewiges ist nicht auf Erden,
als der Wandel, als die Flucht.
Auch der schönste Sommer will
Einmal Herbst und Welke spüren.
Halte Blatt geduldig still,
wenn der Wind dich will entführen.
Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
lass es still geschehen.
Lass vom Winde, der dich bricht,
dich nach Hause wehen.
Wir verabschieden uns hier in der Kapelle von dem Verstorbenen, weil er eingeäschert werden soll:
Paul Glas ist am 31.12.1925 zu uns in diese Welt gekommen und hat uns am 25.04.2010 für immer wieder verlassen.
Er ist dorthin zurückgekehrt, woher er vor mehr als 84 Jahren zu uns in diese Welt gekommen ist.
Wir wollen nicht klagen, weil wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn unter uns hatten.